Ausbildungsprinzipien in der klassischen Reitkunst
In seinem Buch „Klassisches Reiten auf Grundlage der Biomechanik“ (erschienen im Cadmos Verlag) beschreibt Dr. Thomas Ritter neun Ausbildungsprinzipien der klassischen Reitlehre. Sie haben sich in der Praxis als wertvoll erwiesen, erscheinen im einzelnen recht einfach und bilden aber eine solide Grundlage für die Ausbildung von Reiter und Pferd, auf der bis zu hohen Lektionen aufgebaut werden kann.
Wichtig ist jedoch stets, dass der Reiter sich seiner Aufgaben und Hilfengebung bewusst ist. Er muss zuerst seinen Sitz kontrollieren und ggf. korrigieren, um für das Pferd Voraussetzungen zu schaffen, die gestellte Anforderung überhaupt umsetzen zu können. Das Pferd wird zum Mitdenken aufgefordert, es darf durchaus Fehler machen, die nicht bestraft werden. Stattdessen werden die Aufgaben in Teilen neu angelegt oder aber Alternativübungen geritten, um das Pferd geschmeidig und aufmerksam zu bekommen. Erst dann kann die Lektion neu geritten werden. Doch auch Reitern ist es erlaubt, Fehler zu machen. Aus Fehlern kann man sehr viel lernen, man muss sie allerdings erkennen und daran arbeiten, sie abzustellen. Der Reiter sollte stets überlegen, wie er dem Pferd die Arbeit erleichtern kann.
Die Ausbildungsprinzipien fassen wir hier in Kurzform zusammen. Die Anwendung einiger dieser Vorgaben erleichtert einem so manche reiterliche Aufgabe.
Das Alphabetprinzip
Für die Erlernung des Alphabets in der Grundschule gibt es zwei Methoden. Die erste und effektivere ist, die Buchstaben und ihre Lautmerkmale einzeln zu lernen und daraus Wörter zusammen zu setzen. Die so genannte Ganzheitsmethode hingegen vermittelt Wörter am Stück. Hat man nach der ersten Methode die Regeln des Alphabets gelernt, kann man jedes beliebige Wort lesen und schreiben. Die Ganzheitsmethode hingegen ist eher starr und weniger effizient.
Bei der Ausbildung eines Pferdes ist es ebenfalls zielführender, einzelne Elemente zu erlernen anstatt feste Lektionen zu trainieren. Hat das Pferd einmal Hilfengebung und Einzelelemente verstanden, kann der Reiter später überall in der Bahn diese abrufen und für beliebige Übungen und Lektionen verwenden.
Das Wurzelprinzip
Wie der Name schon sagt, soll man Probleme bei der Wurzel packen. Wenn Lektionen nicht funktionieren und Übungen einfach nicht klappen wollen, dann darf man sich nicht nur auf die Symptome stürzen. Es gilt, die Ursache zu finden und zu beheben. Häufig kann dies auch einen oder mehrere Schritte zurück bedeuten. Durch entsprechende Korrekturübungen lassen sich die Probleme beheben und die Lektionen funktionieren später viel besser.
Das Wasserprinzip
Wasser geht den Weg des geringsten Widerstandes. Es findet Lücken und Ritzen, um sich hindurch zu mogeln. So ist es auch beim Pferd. Rahmt man es korrekt mit den Hilfen ein, so ist die gewünschte Lektion der Weg des geringsten Widerstandes und das Pferd wird diesen gern gehen. Ergeben sich jedoch Lücken oder Freiräume in der Kommunikation des Reiters, so wird das Pferd diese nutzen und einen entsprechend leichtere Weg wählen.
Das Aikidoprinzip
Aikido ist eine Kampfsportart, bei der der Kämpfer mit der entgegengesetzten Kraft des Gegners verschmilzt und sie für sich nutzt, um den Angriff abzuwehren. Auch bei der Reiterei kann dieses Prinzip nützlich sein. Statt gegen die Kräfte des Pferdes anzukämpfen – was ohnehin nie Sinn macht und wo der Mensch immer verliert-, kann der Reiter über genaue Hilfengebung innerhalb der Fußfolge die Kraft des Pferdes nutzen und umlenken. Allerdings erfordert dies auch, dass man sich auf die Bewegung des Pferdes einlässt, auch wenn sie so vielleicht gerade nicht erwünscht ist.
Das Töpferprinzip
Ein Töpfer formt seine Gefäße aus Ton, indem er unterschiedlichen Druck darauf ausübt. Wann, wie stark und wo er den Druck gibt, entscheidet über das Ergebnis. Anhand dieser Methode kann man auch die Hilfengebung beim Pferd analysieren. Der Zeitpunkt und die Intensität der Hilfengebung bestimmt Haltung und Form des Pferdes.
Das Medizinprinzip
Dr. Thomas Ritter vergleicht hier alle Übungen und Lektion mit Medizin. Jede dieser Aufgaben heilt bestimmte „Krankheiten“, nimmt man sie jedoch zur falschen Zeit, gegen die falsche Krankheit oder zu lange, wird es negative Folgen haben. So können auch Dressurübungen, die dazu da sind, die Pferde geschmeidig und gesund zu erhalten, bei falscher Ausführung Schaden und Schmerzen verursachen.
Das Pingpongprinzip
Bei diesem Prinzip gilt es, die Aufmerksamkeit des Pferdes auf beide Körperseiten zu lenken. Das Pferd soll Schenkel- und Zügelhilfen auf beiden Seiten gleichermaßen annehmen. Um hier entsprechende Sensibilität zu erreichen, bieten sich Übungen an, in denen die Hilfengebung die Seite wechselt. Wechsel von Travers zu Renvers, von Konterschulterherein zu Schulterherein oder Wechselweise die Schenkel weichen lassen.
Das Eckenprinzip
Dass die Ecken in der Bahn sehr gut der Gymnastizierung des Pferdes dienen, hört man immer wieder. Dies ist auch Hintergrund beim Eckenprinzip. Allerdings geht es hier um das korrekte durchreiten der Ecken, denn nur das verbessert Gang und Haltung des Pferdes. Schiebt sich das Pferd steif und gerade durch eine Ecke oder mit zu vielen Tritten, so bringt es dies eher aus dem Gleichgewicht.
Das Prinzip des schmalen Hufschlags
Gemeint ist das Reiten einer Hufschlagfigur in aller höchster Präzision, so das bei einem frisch abgezogenen Platz später die Spuren wirklich nur eine Pferdebreite haben. Das Pferd soll wie auf einer Linie gehen, die durch die Mitte des Tieres verläuft. Die Wirbelsäule ist entsprechend der Linie gebogen. Dieses Prinzip ist enorm schwer nachzureiten. Es erfordert ein durchlässiges Pferd, was korrekt an den Hilfen steht und willig reagiert sowie einen hochkonzentrierten Reiter.
All diese Prinzipien helfen dem Reiter zur besseren Verständigung mit dem Pferd. Ich persönlich finde sie sehr verständlich beschrieben. Das Kapitel hat in mir Bilder erzeugt, die ich auch auf dem Pferd gut anwenden kann. Selbstverständlich handelt es sich hierbei nur um eine kurze Zusammenfassung der Ausbildungsprinzipien.