Die Skala der Ausbildung – so wird ein Pferd richtig geritten
“Takt, Losgelassenheit, Anlehnung, Schwung, Geraderichtung, Versammlung”
Jeder Reiter, der schon einmal ein Reitabzeichen machen wollte kennt diese Grundprinzipien jedes Dressurtrainings. Grundsätzlich geht es darum, dass sich das Pferd unter dem Reiter wohl fühlt, denn nur so ist eine kooperative Gemeinschaftsarbeit zwischen beiden Parteien möglich.Die Skala der Ausbildung (oder auch Ausbildungsskala) gibt einen guten Überblick über die wichtigsten Punkte, die bei der Ausbildung und beim Reiten eines Pferdes angestrebt werden sollen. Sie basiert auf der Leitfrage, wie Pferd und Reiter richtig und vor allem kooperativ miteinander arbeiten können, damit ein effizientes Endprodukt entstehen kann. Die sechs Punkte der Skala wurden von der FN in den “Richtlinien für Reiten und Fahren, Band 1” festgelegt und bilden seit den späten 50er Jahren das absolute Ziel jedes Dressur- und Reittrainings.
Alle sechs Punkte beeinflussen sich gegenseitig …
Dies ist wohl die wichtigste Grunderkenntnis, die man aus der Ausbildungsskala ziehen kann: man muss alle sechs Punkte und ihre Wechselwirkungen untereinander betrachten.
Der “nullte” Punkt der Ausbildungsskala
Dieser Aspekt wird nur alzu oft vergessen und bleibt in den offiziellen sechs Punkten der Ausbildungsskala ebenfalls unbeachtet. Wir nennen es den “nullten” Punkt, da er vor allen anderen steht und Voraussetzung für jede erfolgreiche Zusammenarbeit ist: zu jeder Trainingseinheit sollte der Reiter innere Ruhe und Gelassenheit mitbringen. Er wird während des Ausbildungsverlaufes viel Geduld aufbringen müssen und das sollte ihm vorher stets klar sein. So wird ein unruhiger und ungeduldiger Reiter es immer schwerer haben eine Losgelassenheit und Anlehnung des Pferdes zu erzielen.
Takt – Losgelassenheit – Anlehnung – Schwung – Geraderichtung – Versammlung
1. und 2. Punkt: Takt und Losgelassenheit
Zwar wird stetig über die Reihenfolge der Ausbildungsskala gestritten, doch sind die meisten wohl darüber einig mit Takt und Losgelassenheit zu beginnen. Ein guter Takt ist dann erreicht, wenn das Pferd in regelmäßigen und vor allem großen Schritten voran schreitet. Durch die Gelassenheit des Reiters wird auch das Pferd über kurz oder lang zu einer Losgelassenheit gelangen – eine absolute Voraussetzung, um seine Arbeitsbereitschaft zu erlangen. Bei erfahrenen und bereits gänzlich ausgebildeten Pferden setzt der Takt und die Losgelassenheit meist etwas schneller ein, als bei jungen und sich noch in der Ausbildung befindenden Pferden.
3. Punkt: Die Anlehnung
Auf den Takt und die Gelassenheit folgt der vielleicht schwierigste, wenngleich auch der zentralste Punkt der gesamten Ausbildung: die Anlehnung. Dies bedeutet eine elastische Verbindung zwischen Pferdemaul und Reiterhand. Das Pferd soll nicht starr im Genick werden und sich gegen die Zügel lehnen (der Begriff “Anlehnung” mag hierbei zunächst konträr erscheinen), sondern einen runden Hals machen und seinen Rücken aufwölben.
Ist eine lockere Verbindung zwischen Maul und Reiter aufgebaut, so wird das Pferd anfangen zufrieden auf seinem Gebiss zu kauen. Die Anlehnung erfordert im frühen Stadium der Ausbildung viel und vor allem ständige Arbeit. Wenn Pferde allerdings das Prinzip der Anlehnung verstanden haben, wird mit den reiterlichen Hilfen ein aufwölben des Rückens recht schnell herbeigeführt. Die Anlehnung hat hierbei eine so zentrale Rolle, da sie nur durch Takt und Losgelassenheit erreicht werden kann und gleichzeitig aber auch diese fördert. Desweiteren bekommt das Pferd durch sie einen aufgewölbten Rücken, was sogleich in den Schwung überleitet.
4. Punkt: Der Schwung
Der Schwung geht eng einher mit der Anlehnung. Er tritt automatisch dann ein, wenn das Pferd den “energischen Impuls aus der Hinterhand” (nach FN Richtlinien) herbeiführt und dadurch automatisch den Rücken aufwölbt. Hierbei ist es wichtig, dass der Reiter weiterhin für die Einhaltung des Taktes sorgt. Das kann unter Umständen auch bedeuten das Pferd im Tempo mit Paraden* zu korrigieren.
Dies kann ziemlich anstrengend werden – aber niemand hat gesagt, dass es leicht wird!
5. Punkt: Geraderichtung
Schwung und der damit einhergehende aufgewölbte Rücken kann nur dann richtig erreicht werden, wenn das Pferd im nächsten Arbeitsschritt gerade gerichtet wird. Hierfür braucht der Reiter erneut die Anlehnung, um damit volle Kontrolle über das Biegen und über die Stellung des Pferdes zu haben. Als Wechselwirkung kann die Anlehnung auch nur dann richtig erreicht werden, wenn das Pferd gerade gerichtet ist. Auch hier wird also erneut deutlich, dass nur alle sechs Punkte als Ganzes zu betrachten sind.
6. Punkt: Die Versammlung – Höhepunkt der Ausbildung
Als letzter Punkt wird der Höhepunkt der Ausbildung erreicht: die Versammlung. Hier soll das Pferd “vermehrt unter seinen Schwerpunkt” treten, sodass das meiste Gewicht nicht mehr auf die Vor-, sondern auf die Hinterhand verlagert wird. Tritt das Pferd also deutlich unter den Schwerpunkt, so wird es auch im Rücken lockerer und hebt sein Genick. Das Pferd ist nun in der optimalen Position, um wirklich effektiv geritten und gearbeitet zu werden. Es bleibt sich allerdings immer wieder vor Augen zu führen, dass man nie ein versammeltes Pferd unter sich haben wird, wenn man nicht vorher auch viel Zeit in die Erarbeitung eines Taktes oder einer Anlehnung investiert hat. Die Vollendung der Versammlung findet in der Piaffe statt. Hier weist das Pferd den höchsten Grad an gleichmäßigem Takt, Losgelassenheit und elastischer Anlehnung auf. Die Anlehnung kann hierbei sogar so elastisch sein, dass auch ein kurzes Loslassen der Zügel nichts an der versammelten Stellung des Pferdes ändert.
Obwohl so weit verbreitet und immer wieder erwähnt, lassen sich in vielen Reithallen stets viele Reiter beobachten, die sich eindeutig nicht an die Grundlagen der Skalenausbildung halten. In diesem Fall ist das Reiten größtenteils ein Kampf, den sowohl Reiter, als auch Pferd für sich gewinnen wollen. Da das aber alles andere, als das Ziel vom Reiten ist, sollte man sich immer wieder die Skala der Ausbildung vor Augen führen – und damit sich selbst und seinem Pferd das Reiten erleichtern.
*Was ist eigentlich eine Parade?
Bei der Parade unterscheidet man zwischen der halben und der ganzen Parade. Beides bezeichnet das Zusammenspiel aller reiterlichen Hilfen. Da bei einer halben Parade allerdings ein anderes Ziel erreicht werden soll, als bei der ganzen Parade, müssen die Hilfen ganz gezielt und nur in bestimmtem Maß eingesetzt werden.
- Die ganze Parade soll zum Halten des Pferdes aus jeder Gangart führen, sodass sie beim Schwung nicht erwünscht ist.
- Die halbe Parade hingegen soll die Aufmerksamkeit des Pferdes auf den Reiter lenken und den Schwung des Pferdes bändigen, um dadurch ein gleichmäßiges Tempo zu erzielen (dies zielt also wieder auf den Punkt Takt ab). Eine halbe Parade exakt zu reiten erfordert eine gute Koordination. Der Reiter verteilt sein Gewicht gleichmäßig auf beide Beine und treibt das Pferde mit den Schenkeln voran. Gleichzeitig muss er die so geforderte Geschwindigkeit mit den Zügeln wieder auffangen, sodass die Zügel angenommen werden. Der Moment des Annehmens darf allerdings nur von kurzer Dauer sein. Reagiert das Pferd erfolgt immer eine nachgebende Zügelhilfe.