Echte Cowboys in Europa? Die Maremma, der Wilde Westen der Toskana
Sehnsuchtland Toscana:
Seit Jahrhunderten zieht das einstige Kulturzentrum Europas Reisende in seinen Bann. Berühmt und viel besucht ist jedoch meist nur die Region zwischen Florenz und Siena. Wir jedoch haben die unbekannte, wilde Toscana entdeckt: die Maremma.
Reiten in Italien – Maremma maiala – verdammte Maremma – flucht der berittene Rinderhirt vor mir. Die weißen, langhörnigen Rinder brechen zum zweiten Mal nach rechts weg. Die zwei Butteri, die Cowboys der Maremma, versuchen die Herde wieder unter Kontrolle zu bringen.
Echte Cowboys in Europa?
Im traditionellen Pferdeland Maremma Toscana gibt es sie noch. Wir befinden uns auf der riesigen Farm Filetto, auf der im Auftrag des italienischen Landwirtschaftsministeriums Maremma Rinder gezüchtet werden. Da die Zucht der jahrhundertealten Rasse für die Bauern nicht mehr rentabel ist, wird die Tradition mit staatlicher Unterstützung aufrechterhalten.
Linktipp: Ferienhaus privat ToskanaTief in ihren schweren Arbeitssätteln sitzend galloppieren die Butteri vor uns auf und ab. Offensichtlich nicht nur wegen der Herde, sondern auch um besonders auf die blonden Schwedinnen in unserer Gruppe Eindruck zu machen. Wir behalten jedoch lieber die Maremma Rinder im Auge. Auch ohne die Warnung unseres Reitführers Marco, daß diese Rasse agressiv sein kann, hätten wir uns von den imposanten Rindern mit den mächtigen Hörnern ferngehalten.
Reiten in Italien
Marco drängt zum morgentlichen Aufbruch. Gestern haben wir bereits miterlebt, was es heißt, fünf Stunden im Sattel durch die Alta Maremma zu ziehen: Tiefhängende Zweige, Dickichts aus Ginster, Wacholdersträucher und Weißdorn. Entsprechend sind heute alle gerüstet: Sunblocker auf der Nase, langärmelige T-Shirts gegen die Brombeerranken, bequeme Schuhe und Chaps statt blankgeputzter Reitstiefel.
Jahrhundertealte Kastanienbäume, Eichen und Tannen flankieren unseren Weg. Die Natur hat die alten Transportwege, einst Lebensadern zwischen den wenigen Siedlungen, zurückerobert. Ein umgestürzter Baumstamm zwingt uns zu einem akrobatischen Ausflug in ein Gewirr aus Ästen, Dornen und Felsen. Plötzlich öffnet sich der Buschwald. Eine Lichtung, übersäht mit roten Mohnblumen. Nach stundemlangen Kampf mit dem Dickicht spüren wir das Gefühl der Freiheit. Schnaubend galloppieren die Pferde dem anderen Ende des Blütenteppichs entgegen. Nur mit Mühe bringt Marco die zehn durchgehenden Reiter wieder unter Kontrolle.
Die Natur ändert ihr Gesicht. Niedriger Buschwald, Erikasträucher und verwilderte Felder und Obstgärten lösen den Kastanienwald ab. Noch immer menschenleere Weite. Erst gegen Mittag das erste Zeichen menschlicher Existenz. Die Ruine eines alten Bauernhauses, aus dessen ehemaliger Wohnstube eine Eiche ragt. Davor grunzen ein paar Ferkel in einem Pferch. Ein paar Meter weiter kreuzt ein alter Schafhirt mit seiner Herde unseren Weg.
Mit den Pferden in der Toskana
Mit unser Vorhaben, fünf Tage freiwillig zu Pferd durch die Maremma zu ziehen, stoßen wir bei ihm sichtlich auf Verwunderung. Die Tradition – das Pferd als ausschließliches Arbeitstier- sitzt tief. Er nützt jedoch die Gelegenheit, uns von den guten alten Zeiten zu erzählen, als die Menschen hier noch vom Bergbau lebten. Seit der Zeit der Etrusker wurde in dieser Gegend nach Zink, Silber und Kupfer gegraben. In den letzten Jahrzehnten wurden jedoch auch die letzten verbleibenden Minen stillgelegt und der Großteil der Bevölkerung ist abgewandert. Die unzähligen verlassenen Bauernhöfe und Dörfer erinnern an bessere Zeiten. Seine Schilderungen versetzen uns in frühere Jahrhunderte und stimmen uns nachdenklich.
Nach einer Stunde steilem Anstiegs erreichen wir unser Mittagsziel. Eine halb verfallene kleine Bergarbeitersiedlung. Anja erwartet uns schon mit dem Picknick, das sie im Schatten einer riesigen Zypresse aufgebaut hat. Bei Pasta, gebratenem Wildschwein, Pecorino und Chianti genießen wir einen herrlichen Blick aufs Meer. Nicht schwer zu verstehen, was italienischen Lebensstil ausmacht. Unendliche Hügellandschaft, das Meer, wunderbares Essen und hervorragende Weine – Toscana pur. Faul liegen einige in der Sonne, der Rest überbrückt mit einem zweiten Glas Rotwein die letzten englisch-italienisch-deutsch-schwedischen Sprachbarrieren.
Wanderreiten in der wunderbaren Toskana
Von der Silbermine führt ein kleiner, verschlungener Pfad zur Burg Fosini, die als Raststation auf dem Weg nach Florenz diente. Festgeklebt auf dem Felsen hängen die Überreste der alten Burg über dem Abgrund. Fernes Donnergrollen beendet die Kaffeepause. Das Gewitter im Nacken erhöht Marco das Tempo. Kurz vor der Renaissance-Villa galoppieren wir lauwarmen Tropfen entgegen. Von den gräflichen Haflingerherde, auf deren Weide wir unsere Pferde freilassen, ist kein Schweif zu sehen. Mitten im stömenden Regen kümmern wir uns nicht darum und merken erst am nächsten Morgen, was es heißt, sein Pferd in der Macchia zu Fuß zu suchen.
Der Verwalter winkt uns zu, als wir die Zypressenallee der Grafenresidenz passieren. Den Grafen von Anqua selbst haben wir leider nicht kennengelernt. Aber schon der Anblick des herrschaftlichen Anwesens auf dem Hügel inmitten des riesigen Landbesitzes hat uns tief beeindruckt.
Weiter geht es über Felder, vorbei an Olivenhainen und Weinbergen. Der Geruch von Minze und Rosmarin folgt uns. Hier, in der senesischen Hügellandschaft, hat die jahrhundertelange Bedeutung der Landwirtschaft die Natur geprägt. Den ganzen Morgen brennt die Sonne auf unseren Gesichtern. Tony´s Pferd nutzt eine Flußüberquerung für ein erfrischendes Bad. Den größten Spaß daran hat seine Freundin und knippst ein Photo nach dem anderen. Ehe sie sich versieht, liegt auch sie – die Kamara hochhaltend – im Wasser. Doch der nächste Picknickplatz ist nicht weit und die beiden nehmen ihre klatschnassen Sachen sehr gelassen.
Die Wildnis der Maremma – vermittelt ein neues Lebensgefühl
Schon hinter der nächsten Biegung taucht die Klosterruine San Galgano am Horizont auf. Das im 13. Jahrhundert erbaute Zisterzienserkloster war einst kulturelles und wirtschaftliches Zentrum der Region. Heute verirren sich nur einige Kulturliebhaber hierher. Wenn man im Schatten der mächtigen Mauern die Augen schließt, hat man den Eindruck, die Mönche zu sehen, die durch die gotischen Kreuzgänge schreiten und zu hören, wie ihre Gesänge durch das eingestürzte Dachgewölbe in den Himmel steigen.
Scherzend sitzen wir beim obligatorischen Chianti im Garten der Abtei. Ein Blick durch die Runde zeigt: Schon die ersten Tage haben jeden einzelnen ein wenig verändert. Die Gemeinschaft der Gruppe, der Ausflug in vergangene Jahrhunderte und die Wildnis der Maremma haben jedem von uns ein neues Lebensgefühl vermittelt. Drei weitere Tage liegen noch vor uns. Eines ist sicher: Die sprichwörtliche Sehnsucht nach der Maremma Toscana hat auch uns erfaßt.
Mehr Infos gibt es hier.
Reiterhof Hotel Prategiano Maremma Toskana
Surftipps:
—Alle Angaben ohne Gewähr—
Wow… ein Bericht, der zum Träumen einlädt… man riecht beim Lesen förmlich die Zypressen und Rosmarin! Wie gern würde ich dort auch mal reiten… Ganz toller Reisebericht!!