Wie viel Dominanz braucht ein Pferd?
Bei dieser Frage scheiden sich die Geister aller Reiter und Pferdefreunde. Bei der Formulierung der Frage wird es sicher schon in vielen Ställen einen Aufschrei geben. ‚Dominanz’, ein Unwort, das häufig mit Gewalt am Pferd verbunden wird.
Doch wie funktioniert die Kommunikation mit dem Pferd wirklich? Welche Methode ist die richtige? Und ab wann wird ein Pferd vermenschlicht? Auch auf diese Fragen gibt es mindestens so viele Antworten, wie es Pferderassen gibt. Meine Sichtweise möchte ich gern in diesem Artikel formulieren.
Wie Dori in „Findet Nemo“ walisch spricht, so muss ein guter Reiter oder Pferdebesitzer pferdisch sprechen lernen. Denn dass Tiere kein Deutsch lernen werden, müsste eigentlich jedem bewusst sein (gemeint sind ganze Sätze, nicht kurze Kommandos). Gerade die Entwicklung in den letzten Jahren mit vielen Pferdeflüsterern, Horse-Männern und -Frauen und einer Inflation neuer Trainingsmethoden auf dem Weg zur Traumpartnerschaft zeigt, dass dies aber längst nicht jeder kann.
Ich selbst habe nach über 20 Jahren Freizeitreiterei und vielen instinktiven Reaktionen bei der Lektüre von ‚Be Strict – Denken wie ein Pferd’ von Michael Geitner viele Aha-Effekte gehabt.
Kleinigkeiten im alltäglichen Umgang, die immense Auswirkung auf das Vertrauen und die Kommunikation des Pferdes haben.
Die wichtigste grundlegende Erkenntnis sollte sein: Das Pferd ist ein Pferd. Punktum. Das ist das, was wir so sehr lieben. Und das ist der Hauptgrund, warum wir es auch als solches behandeln müssen. Dazu zählt die Einhaltung der Rangordnung. In einer Pferdeherde ist schnell die Rangfolge geklärt.
Diese strikte Ordnung war überlebenswichtig für die Fluchttiere in freier Wildbahn. Und die Gene stecken nach wie vor in den heutigen Züchtungen.
Um von einem Pferd akzeptiert zu werden, muss man also der Ranghöhere sein.
Auf den ersten Blick ein schwieriges Unterfangen bei einer Körpergröße von 1,64 m vor einem Pferd mit Stockmaß 1,80 m. Doch auf die körperliche Größe kommt es bei den Tieren gar nicht an. Wer kennt nicht auch eine Szene, wo eine Ponystute dem großen Warmblutwallach deutlich macht, wer zwischen den beiden das Sagen hat. Allerdings basiert die Ranghöhe nicht auf Gewalt und Dominanz, sondern auf Konsequenz, klaren fairen Regeln und Vertrauen.
Die besagte Konsequenz beginnt jedoch nicht erst bei der Arbeit mit dem Pferd sondern sobald man den Stall betritt. Einmal Chef, immer Chef – das muss klar sein. So soll sich das Pferd zum Beispiel in der Box zu einem drehen, wenn man kommt. Bekommt man nur den Hintern zu sehen, ist das eindeutig keine Wertschätzung.
Beim Führen darf das Pferd nicht drängeln oder nur hinterher schlurfen. Es soll auf den Menschen achten und sein Tempo annehmen. Über die genaue Position des Pferdes gibt es wiederum unterschiedliche Auffassungen. Dies hängt auch vom Charakter des Tieres ab. Mein Angsthase darf seinen Kopf neben oder knapp vor meiner Schulter haben. So habe ich ihn im Blick, wenn er etwas in der Umgebung wahrnimmt und kann entsprechend sofort reagieren und ihm Schutz bieten.
Oftmals ist auch das Putzen schwierig. Das Pferd ist so kitzelig, dass es ständig hin und her läuft. Tatsächlich ist auch dies (meistens) ein Problem der Rangordnung. Mit viel Geduld, einem ständigen Korrigieren der Position und jede Menge ‚Pass Auf’ Kommandos stärkt man seine Position und siehe da: Das Pferd kann still stehen.
Ein wesentlicher Grundsatz in der Rangordnung ist, dass der Höhere den Niedrigeren bewegt. Rennt also der Reiter beim Longieren dem Pferd ständig hinterher, verliert er in der Achtung. Bei der Arbeit an der Longe zeigt sich das Thema ‚Wer bewegt wen’ sehr deutlich. Um sich selbst eine Hilfestellung zu geben, kann man zum Beispiel einen Hoola Hoop Reifen in die Mitte des Longierzirkels legen. Von hier aus muss man dann das Pferd bewegen und hält so automatisch seine Position.
Sind die Grundlagen am Boden geklärt und man hat einen gewissen Grad an Respekt und Vertrauen aufgebaut, gilt es, dies auch im Sattel umzusetzen. In dieser schwierigen Position, wo das Pferd einen nicht sehen sondern nur fühlen oder hören kann, muss das Vertrauen passen. Und auch hier soll das Pferd auf die Kommandos des Reiters reagieren. Wesentlich ist dies auch bei angsteinflößenden Situationen. Das eine Pferd kann man davon wegstellen, das andere muss es sich angucken. Wichtig ist aber, dass der Reiter mit seiner Körperspannung und Haltung dem Pferd vermittelt, dass es keine Angst haben braucht. Lieber also einmal mehr locker lassen, Zügel nachgeben und die Beine entspannen, als gespannt wie ein Flitzebogen auf die Reaktion des Pferdes zu warten.
Das Wichtigste für das Pferd beim Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung ist die Berechenbarkeit des Menschen. Sicherlich hat jeder mal einen schlechten Tag. Die Negativstimmung sollte man aber am Hoftor ablegen. Der Mensch muss seine eigenen Regeln bzw. die der Herdenordnung konsequent befolgen. Ein Pferd kann nicht verstehen, warum es an einem Tag drängeln und schubsen darf und am nächsten Tag dafür bestraft wird. Ein ja muss immer ein ja sein und ein nein eben ein nein. Grenzen dürfen verwischen, aber sie dürfen nicht überschritten werden. Nur wenn das Pferd sich auf die Reaktionen seines Menschen verlassen kann, er für das Pferd berechenbar wird, wird es Vertrauen finden und ihn als Ranghöheren akzeptieren.
Übrigens: ‚Pferdisch’ setzt auch klare kurze Kommandos voraus. Ein „Könntest Du Dich mal bitte umdrehen?“ kann ein Pferd nicht verstehen. Ein kurzes, bestimmtes „Rum“ hingegen wird sicher eher zum Erfolg führen.
Generell ist das ‚Pferdisch’ also ganz einfach. Statt Dominanz, Schläge und Gewalt reichen klare Regeln und ein hohes Maß an Konsequenz durchaus aus. Dazu noch ein gesunder Menschenverstand und die Liebe zum Tier.
Ist die Rangordnung in der Pferd-Mensch-Beziehung einmal geklärt, wird das Leben für beide einfacher. Die strenge Einhaltung aller Regeln und die konsequente Korrektur des Pferdeverhaltens können auch ein bisschen aufweichen. Auch ich herze mein Pferd und kuschel mit ihm. Ich stecke ihm ab und an ein Leckerlie ohne Grund zu, so wie ich auch einfach so einen Schokoriegel esse. Aber durch die konsequente Basisarbeit vorne weg sieht mich das Pferd dennoch als Ranghöherer an. Bei Anfragen oder Hinterfragen meiner Position wird dies im Zweifelsfalle auch wieder klar gestellt.