Die mysteriöse Pferdekrankheit: Atypische Weidemyopathie
Diese Krankheit ist wahrlich unheimlich und angsteinjagend für jeden Pferdebesitzer. Die atypische Weidemyopathie ist eine Muskelkrankheit, bei der das Pferd innerhalb weniger Stunden oder nach spätestens 3 Tagen an Muskelversagen stirbt.
Über die Krankheit gibt es bislang noch viele Rätsel. Das einzige, was klar scheint sind, zwei Dinge: sie tritt ausschließlich bei Weidetieren und nach einem plötzlichen Kälteeinbruch (Nachtfrost) auf.
Das größte Problem der Atypischen Weidemyopathie (auch Myoglobinurie der Weidentiere genannt) ist, dass die Ursache noch nicht geklärt werden konnte. Bislang haben Wissenschaftler lediglich alle Fälle der erkrankten oder toten Tiere zusammen gefasst um so die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der verstorbenen Tiere und der Weidebedingungen darzustellen. Über die wirkliche Ursache gibt es jedoch nur Spekulationen, von denen manche mehr und manche weniger wahrscheinlich sind.
Wann trat die atypische Weidemyopathie auf?
Bereits vor hundert Jahren gab es plötzliche Todesfälle bei Pferden, die nach einem plötzlichen Kälteeinbruch am nächsten Morgen tot auf der Weide lagen. 1984 bekam die mysteriöse Krankheit dann ihren heutigen Namen “Atypische Weidemyopathie” (der medizinische Fachausdruck “Myopathie” steht hierbei für Muskelerkrankung). Im Herbst und Winter 1995/96 waren dann auch die ersten Fälle an der Tierärztlichen Hochschule Hannover bekannt. Von den 115 betroffenen Pferden starben in dieser Winterperiode 111 Tiere. Eine ähnlich grauenhafte Sterbewelle gab es in den Wintermonaten von 2004/05 und 2009/10. Die Zahlen verdeutlichen, dass die Krankheit in keinen periodischen Zyklen auftritt und sie daher unberechenbar ist.
Unter welchen Umständen trat die Krankheit auf?
Da es über den genauen Ursprung der Krankheit noch keine eindeutigen Erkenntnisse gibt, lässt sich keine allgemeingültige Aussage darüber machen, unter welchen genauen Umständen die Krankheit auftritt. Tatsache ist, dass die Krankheit immer nach einem plötzlichen Wetterumschwung ausbrach. Damit sind vor allem die Monate von Oktober bis Dezember betroffen, da hier eine hohe Differenz zwischen den warmen Tages- und den kalten Nachttemperaturen (Nachtfrost) bestehen kann. Desweiteren sind auch Fälle bekannt, wo die Muskelkrankheit nach einem starkem Sturm in Verbindung mit einer hohen Luftfeuchtigkeit und Temperaturen um knapp über null Grad aufgetreten ist.
Tritt die Krankheit nur bei bestimmten Pferden auf?
Grundsätzlich tritt die Weidemyopathie nur bei Weidentieren auf. Bislang konnte noch nicht geklärt werden, in wie weit die Pferderasse, das Geschlecht oder die körperliche Verfassung die Krankheit beeinflussen. In jedem Fall waren alle Pferde der Koppel und nicht nur ein einzelnes betroffen. Manche Quellen meinen, dass vor allem junge Pferde zwischen einem und vier Jahren besonders anfällig für die Weidemyopathie sind. Alle Pferde, die bislang an der Muskelkrankheit gestorben sind, waren gut genährt, wenig gearbeitet und hatten nur wenig Zufütterung (zusätzliches Heu, Kraftfutter, Mineralfutter). Viele der betroffenen Koppeln waren zudem stark abgegrast, nicht gedüngt und wurden nicht entäppelt.
Wo tritt die Krankheit auf?
Die ersten Fälle der Krankheit sind aus England bekannt. Mittlerweile hat sie sich jedoch im gesamten Mitteleuropäischen Raum ausgebreitet und wurde bereits in der Schweiz, Österreich, Deutschland, Schottland, Belgien und den Niederlanden diagnostiziert. Allerdings gibt es in keinem Land eine Region, die vermehrt betroffen ist. Alle betroffenen Weideflächen haben gemeinsam, dass sie sich in Waldnähe befinden und bereits seit langer Zeit nicht mehr genutzt wurden.
Mögliche Ursachen für die atypische Weidemyopathie
Die genaue Ursache der atypischen Weidemyopathe ist bislang unbekannt. Alle Vermutungen über den Ursprung der Krankheit haben gemeinsam, dass auf eine bislang noch ungeklärte Weise, Toxine durch den plötzlichen Kälteeinbruch frei gesetzt werden. Dies kann auf zwei verschiedene Weisen geschehen. Die erste ist, dass der klimatische Umschwung eine Veränderung des Stoffwechselprozesses in gewissen Pflanzen auslöst und dadurch bestimmte Toxine produziert. Folglich würde das Pferd die giftigen Stoffe durch die Nahrung aufnehmen. Die zweite Theorie besagt, dass bei plötzlicher Wetteränderung bestimmte Bakterien im Magen- und Darmtrakt des Pferdes übermäßig produziert werden (Clostridientheorie). Diese sind stark giftig und greifen das gesamte Kreislaufsystem an. Was der biochemische Auslöser einer solchen Überproduktion ist, konnte jedoch noch nicht geklärt werden.
Die Bergahorn-Theorie
Im Laufe der wissenschaftlichen Untersuchungen wurde festgestellt, dass der Bergahorn besonders häufig um die betroffenen Koppeln angesiedelt war. Die Blätter dieser Baumart enthalten einen hohen Anteil an Aminosäuren. Wenn diese in den Organismus gelangen, werden sie dann durch Stoffwechselprozesse in toxische Substanzen umgewandelt. Der Pferdegesundheitsdienst (PGD) fand heraus, dass auf sieben von acht betroffenen Weiden ein Bergahorn in der Nähe stand und dadurch auch Blätter zum Fressen auf der Koppel lagen. Dies würde auch im Einklang mit der Jahreszeit sein, da im Herbst die Blätter von den Bäumen fallen und daher für die Pferde auf der Weide zugänglich werden. Desweiteren waren die Jahre 2004 und 2009 so genannte Mastjahre, das heißt, dass hier besonders viele Keime und Ahornsamen produziert wurden. Diese Tatsache würde erklären, warum in genau diesen Jahren zahlreiche Fälle der atypischen Weidemyopathie aufgetreten sind. Allerdings bleibt in dieser Theorie der Bezug zum plötzlichen Temperaturfall (Nachtfrost) noch unklar und stellt damit keine endgültige Erklärung der Krankheit dar.
Symptome
Die Symptome der atypischen Weidemyopathie müssen sofort erkannt werden. Obwohl die Sterberate der erkrankten Pferde bei 85-90% liegt, können sofort eingeleitete Hilfsmaßnahmen in manchen Fällen das Leben des Tieres retten. Grundsätzlich ähnelt das Krankheitsbild dem typischen Verlauf einer Muskelerkrankung, sodass die Muskulatur in allen Bereichen geschwächt wird. Teilweise können die Symptome auch mit denen einer Kolik verwechselt werden, da auch hier Krampfähnliche Störungen auftreten. Die deutlichsten Anzeichen sind Schluckstörungen und ein dunkelrot bis braun gefärbter Harn (die Färbung entsteht durch das Ausscheiden des Muskelfarbstoffes Myoglobin). Weitere Symptome sind:
- Apartheit
- Muskelzittern und Steifheit
- erhöhte Puls- und Atemfrequenz
- schwankender Gang
- Schweißausbrüche
- das Festlegen auf einer Seite in Verbindung mit rudernden Bewegungen
Des weiteren werden die Tiere von Schmerzen geprägt, wobei das Ausmaß der Schmerzen hierbei von Pferd zu Pferd unterschiedlich hoch ist. Eine Diagnose kann mithilfe eines Blutbildes gemacht werden. Dieses zeigt eine deutliche Vermehrung der Muskelenzymwerte auf (Kreatinkinase CK).
Sofortmaßnahmen
Meistens werden die erkrankten Tiere am nächsten Morgen tot auf der Weide gefunden. Wenn es allerdings eine Nachtwache gibt, können Sofortmaßnahmen eingeleitet werden und in manchen Fällen das Leben des Tieres gerettet werden. Wird ein erkranktes Tier aufgefunden, muss sofort ein Tierarzt alarmiert werden. Danach benötigt das Pferd eine Infusion und eine wärmende Decke. Wenn möglich sollte das Tier in jedem Fall in einen warmen und trockenen Stall gebracht werden. Dort kann dann trockenes Heu gefüttert, sowie entzündungshemmende Medikamente verabreicht werden. Da die meisten Pferde von großen Schmerzen geplagt werden, sollten sie nur so gering wie möglich bewegt werden.
Vorbeugung
Obwohl diese Krankheit wahrlich mysteriös und unheimlich erscheint, muss vor zu großer Panikmache gewarnt werden. Jährlich sterben deutlich mehr Pferde an einer Kolik, weil sie in einer kleinen Box gehalten und zu wenig bewegt werden. Da über die Krankheit noch so wenig geklärt ist, können grundsätzlich nur die Symptome behandelt, aber nicht die Ursachen bekämpft werden. Als wichtigste Präventivmaßnahme gilt es, den Wetterbericht stets im Voraus zu beachten und bei angekündigtem Kälteeinbruch zu reagieren. So können die Pferde über Nacht in den Stall gebracht und vor der plötzlichen Kälte geschützt werden. Falls kein Stall vorhanden ist, kann mit allen Pferdebesitzern eine Nachtwache organisiert werden, die in regelmäßigen Abständen die Pferde auf der Weide kontrolliert. Außerdem sollte grundsätzlich auf der Weide ein trockener Unterstand für die Pferde bereit stehen und genügend trockenes Heu zugefüttert werden.
Die atypische Weidemyopathie kommt einem vor wie ein schlechter Krimi – und man kann nur hoffen, dass die Forschung bald mehr über die Ursachen dieser mysteriösen Krankheit heraus findet.
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